Alles Hollande oder was?

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Ein Erasmus-Semester geht auch immer mit vielen internationalen Freundschaften einher. Franziska (3 v.r.) mit Kommilitoninnen auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt.

Ein Auslandsbericht von unserem Kreisvorstandsmitglied Franziska Lammert

– Der Beitrag wurde in der August-Ausgabe des Mitgliedermagazines der JU Niedersachsen, dem Streitross, veröffentlicht. – 

Die Attentate auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015 haben die Bevölkerung Frankreichs tief erschüttert. Innerhalb weniger Stunden verbreitete sich die Aussage „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) im Netz. In fast allen großen Städten gab es viele spontane Beileidsbekundungen und Trauermärsche. Hinter allem stand die Botschaft der Franzosen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Die „Grande Nation“, wie sich die Franzosen selbst gerne sehen, war aber dennoch ins Mark getroffen. Im Gespräch mit einer älteren Französin äußerte diese, die Franzosen hätten Charlie Hebdo als ihr Sprachrohr verstanden. Die Zeitschrift sei DER Ausdruck für Meinungsfreiheit in Frankreich gewesen. Die Tage nach dem Attentat waren gekennzeichnet von einer bedrückenden Stille. In Reims sah ich mehrere Polizisten mit Maschinenpistolen, die die Straßenbahn kontrollierten. Die Anspannung und die Angst vor einem erneuten Anschlag waren deutlich zu spüren.

Der erstarkte Front National

Die französische Gesellschaft ist gespalten. Es stehen sich Ausländer und Franzosen gegenüber. Natürlich trifft dies nicht auf alle Franzosen zu, jedoch sind Aussagen wie „Wir haben doch einfach zu viele Ausländer hier“ keine Seltenheit mehr. Mit solchen Attentaten wie dem in Paris oder in Lyon wächst das Misstrauen der Franzosen auch gegenüber Muslimen. Und von genau diesen Sorgen der Franzosen profitiert am Ende auch der Front National.

Wie geht es politisch weiter in Frankreich? Neben den beiden großen Kräften Parti socialiste (PS) und der ehemaligen UMP, die jetzt seit einigen Wochen „Les Républicains“ (Die Republikaner) heißt, hat sich nach und nach der Front National etabliert. Längst schaut man mit Spannung auf die nächsten Präsidentschaftswahlen. Das politische System in Frankreich sieht vor, dass der Präsident in direkter Wahl vom Volk gewählt wird. Kann im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, treten im zweiten Wahlgang die beiden Kandidaten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, in einer Stichwahl gegeneinander an.

Präsidentschaftswahlen mit ungewissem Ausgang

Längst scheint klar, dass die Front National-Chefin Marine Le Pen den Sprung in die Stichwahl ohne Probleme, wohlmöglich sogar mit dem besten Ergebnis, schaffen wird. Fraglich bleibt, aus welchem politischen Lager ihr Gegner stammen wird. Im Ergebnis dürfte die Wahl dann so ablaufen, wie die Stichwahl zwischen Marines Vater und Gründer des Front National, Jean-Marie Le Pen und Jacques Chirac im Jahr 2002, so dass der Gegner von Le Pen die Stichwahl gewinnen dürfte.

Warum ist der Front National so stark? Die Franzosen sind mit den etablierten Parteien nicht mehr zufrieden. Eine Politikstudentin versuchte, mir die Situation so zu erklären: Weder „la droite“, also die UMP/Republikaner, noch „la gauche“, also die Parti socialiste, haben es geschafft, die großen Probleme zu lösen. Die Arbeitslosigkeit steigt in letzter Zeit immer weiter (sie beträgt zur Zeit 10%), die Jugendarbeitslosigkeit betrug im Oktober 2014 22,8%. Einige junge Franzosen, mit denen ich mich unterhalten habe, zeigen deutlich, dass sie ihre Zukunft nicht in Frankreich sehen.

Gefühl der Perspektivlosigkeit

Das liegt auch an der hohen Jugendarbeitslosigkeit, die ein Gefühl der Perspektivlosigkeit auslöst. Hinzu kommt, dass das französische Arbeitsrecht die Arbeitnehmer stark schützt. Einen unbefristeten Vertrag zu kündigen, ist schwer und langwierig. Das bedeutet im Umkehrschluss aber, dass französische Arbeitgeber kaum noch unbefristete Verträge mit Arbeitnehmern abschließen und führt zu großer Unsicherheit bei den Franzosen, die nur noch Arbeitsverträge über 12 oder 24 Monate angeboten bekommen. Auch wenn dieser Bericht jetzt sehr negativ klingt: was an den Franzosen meiner Meinung nach bewundernswert ist, ist ihre Lebensfreude und Leichtigkeit, die sie sich – trotz der schwierigen Zeiten – nicht haben nehmen lassen.

Die Autorin Franziska Lammert ist Mitglied im Kreisverband Vechta und studiert Jura in Münster. Von September 2014 bis Juni 2015 verbrachte sie zwei Auslandssemester im Rahmen des Erasmus-Programms der EU in Frankreich, an der Université de Reims Champagne-Ardenne.